Meist geht es bei den Literaturfreunden lustig zu. Bei jedem Treffen wird ein Buch oder ein:e Autor:in vorgestellt. Wichtige, humorvolle oder besonders tiefgründige Passagen werden vorgelesen und dann tauscht man sich beschwingt aus, lacht gemeinsam oder diskutiert angeregt. Manchmal finden aber auch schwere Themen den Weg in den Raum. Man hat dann das Glück eine Perle vorgelesen zu bekommen, die einem zwischen weichen, poetischen Sätzen „literarische Kinnhaken“ versetzt.
Bei meinem ersten Besuch im Literaturkreis hieß das Buch „Adressat unbekannt“ von der US-amerikanischen Autorin Kressmann Taylor. Der Roman besteht aus dem Briefwechsel zweier alter Freunde, die den Aufstieg der Nazis in den 1930er Jahren aus nächster Nähe erleben und die Auswirkungen davon auf Arten zu spüren bekommen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Erschreckend bei der Lektüre dieses großartigen Buches sind vor allem zwei Beobachtungen: Erstens erschien der Text bereits 1938, also noch vor offiziellem Kriegsbeginn. Die Autorin hatte ein feines Gespür für die laufenden gesellschaftlichen Entwicklungen und fing das Zeitgeschehen geschickt in ihrem Buch ein. Zweitens ist das Thema leider heute noch immer aktuell. Wer Lust auf ein kurzes aber intensives Leseerlebnis hat, dem möchte ich „Adressat unbekannt“ unbedingt ans Herz legen.
Bei meinem zweiten Besuch wurde Helga Schubert vorgestellt, deren Texte ebenfalls unter die Haut gehen.
Literatur bietet uns einen einzigartigen Zugang zu Vergangenem, Möglichem, Unmöglichem und den komplexen Gedanken und Gefühlen anderer Personen.
Es tut gut, mit anderen zusammen in Geschichten einzutauchen, sich anregen und inspirieren zu lassen und mit einem Gefühl tiefer Verbundenheit nach Hause zu gehen. Ich fühle mich nach den Treffen der Literaturfreunde immer verbunden mit etwas tief in mir und gleichzeitig mit den anderen Menschen. Verbunden mit den Welten, die in den Texten beschrieben werden und gleichzeitig mit unserer heutigen, aktuellen Zeit. Ich gehe nach Hause und habe Lust selbst etwas zu schreiben. Mir ist wieder einmal bewusst geworden, wie wichtig die aktive Mitgestaltung der Gesellschaft um uns herum ist, im Großen genauso wie im Kleinen. Jeder Roman, jeder Brief und jedes Gedicht sind Zeitzeugen. Wie möchte ich in Erinnerung behalten werden? Wie werden Menschen später über die Jahrzehnte denken, in denen ich auf dieser Erde wandelte? Was für Gefühle werden abends in Tagebüchern festgehalten? Wie kann ich mich dafür einsetzen, dass möglichst alle Menschen einen Grund haben, viele gute Erfahrungen aufzuschreiben?
Die Besuche bei den Literaturfreunden sind für mich auf jeden Fall ein Grund für fröhliche Einträge in meinem Tagebuch. Ich werde stets herzlich willkommen geheißen und kann Muße und Inspiration auftanken. Vielen Dank für dieses tolle Angebot und bis zum nächsten Mal!