„Können Sie denn nicht lesen?“
E-Mails checken, den Enkeln am Abend eine kleine Geschichte vorlesen oder in gemütlicher Runde im Restaurant eine Speisekarte studieren – für Sie kein Problem? Eigentlich eine ganz normale Sache?
Nicht für 6,2 Millionen erwachsene Menschen im erwerbsfähigen Alter. Sie gelten in Deutschland als „funktionale Analphabeten" oder Menschen mit geringen Lese- und Schreibkompetenzen. Sie können zwar einfache Sätze lesen und schreiben, nicht aber zusammenhängende Texte wie Arbeitsanweisungen, Handyverträge oder Behördenpost verstehen. Für sie stellen die vermeintlich kleinen Dinge eine riesige Herausforderung dar. Das soll sich im Zeitraum von 2016 bis 2026 durch die Nationale Dekade für Alphabetisierung und Grundbildung, kurz „AlphaDekade“ – eine Initiative von Bund, Ländern und gesellschaftlichen Partnern – ändern. Ziel ist es, den funktionalen Analphabetismus bei Erwachsenen spürbar zu verringern und weiter auf das Problem aufmerksam zu machen.
Denn bestehende Angebote, wie z. B. an Volkshochschulen, werden nur von weniger als einem Prozent der Betroffenen genutzt. Menschen mit geringer Grundbildung versuchen aus Scham zu verbergen, dass sie Probleme haben - auch wenn sie wissen, dass Lesen und Schreiben wichtige Voraussetzungen für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben sind. Aber besonders schulische Lernsituationen wirken oft abschreckend und selbst für das sogenannte mitwissende Umfeld ist es oft schwer, das Problem angemessen zu thematisieren. Deswegen wurde nach neuen Lernorten bzw. Methoden gesucht und nun sind 170 Mehrgenerationenhäuser (MGH) Teil einer gemeinsamen Initiative, die seit Anfang 2018 durch das Bundesfamilien- und das Bundesbildungsministerium gefördert wird. MGH stellen mit ihren niedrigschwelligen Angeboten für Freizeit, Bildung und Unterstützung gut vernetzte Orte der Begegnung dar und können mit ihren Angeboten flächendeckend Menschen Mut machen, auch in späteren Lebensphasen besser lesen und schreiben zu lernen. Es ist eine schwierige Aufgabe, sie dort abzuholen, wo sie gerade mental und mit ihrem Lernniveau stehen – aber es ist nicht unmöglich!
Wir haben schon einige Ideen, z. B. eine wöchentliche Sprechstunde für Betroffene und deren Umfeld; eine offene Lernwerkstatt oder ein Lern- bzw. Beratungscafé zu Themen wie Verträge, Medien oder Bewerbungsschreiben, um die Lernmotivation zu erhöhen; Vorleseprojekte und die Möglichkeit zur Nutzung von Selbstlernprogrammen. Weitere Ideen sind herzlich willkommen ebenso wie Interessenten, die diese Aufgabe gemeinsam mit uns angehen möchten oder die Betroffene in Ihrem Umfeld kennen und Ihnen beim „ersten Schritt“ helfen möchten. Wenden Sie sich gern an den Bürgerhafen.
Tel.: 03834 7775611, Ansprechpartnerin: Raagna Runge